© chesky - stock.adobe.com

Pannen sind von gestern: Ermöglicht der digitale Zwilling des Bordnetzes eine präventive Autowartung?

15. SEP 2019


Moderne Pkw sind zuverlässiger denn je. Blieben nach ADAC-Pannenstatistik im Jahr 1978 noch 23 von 1.000 Pkw im Lauf eines Jahres liegen, so sank dieser Wert mittlerweile auf weniger als drei von 1.000 – und das obwohl das Durchschnittsalter der in Deutschland zugelassenen Pkw mittlerweile auf 9,5 Jahre gestiegen ist. Wesentlichen Anteil daran hat die Verfeinerung der Simulationstechniken, die in der Entwicklung eingesetzt werden. Mit Hilfe ausgefeilter mathematischer Modelle können die physikalischen Eigenschaften von Komponenten bereits vorausgesagt werden, bevor der erste Prototyp getestet wird. Genau das tun wir bei LEONI für alle wichtigen Komponenten in einem Energiebordnetz. Künftige Fahrzeuggenerationen werden durch elektrische Antriebe und hochautomatisiertes Fahren allerdings noch komplexere Technik an Bord haben. Schlägt deshalb das Pendel zurück?

 

Mit Hilfe des digitalen Zwillings könnten Autopannen schon bald der Vergangenheit angehören

Ich bin davon überzeugt, dass dem nicht so ist. Im Gegenteil: Künftige Pkw werden noch zuverlässiger, und das muss auch so sein, denn wenn wir hochautomatisierten Fahrzeugen zeitweise unser Leben anvertrauen, wollen wir ganz sicher sein, dass die Technik an Bord unter allen Umständen funktioniert. Der Schlüssel dazu liegt meiner Ansicht nach darin, das Alterungsverhalten der technischen Systeme laufend zu überwachen und Wartungen vorbeugend zu veranlassen, also bevor überhaupt ein Fehler aufgetreten ist. Möglich wird die präventive Wartung durch den digitalen Zwilling. Dabei handelt es sich per Definition um ein virtuelles Modell des realen Produktes, das mit der physikalischen Realität gekoppelt ist. Anders als bisherige Simulationsmodelle „altert“ der digitale Zwilling mit dem realen Fahrzeug, und zwar in dem Maße, wie das Fahrzeug im Betrieb tatsächlich Umweltbelastungen ausgesetzt ist. Alle Fahrzeughersteller arbeiten daran, solche digitalen Zwillinge im kommenden Jahrzehnt einzusetzen. Für uns als Systempartner in Sachen Bordnetz bedeutet dies: Auch wir wollen im kommenden Jahrzehnt so weit sein, mit jedem realen Bordnetz einen digitalen Zwilling ausliefern zu können. Bereits heute sind wir dazu mit unseren Kunden im Dialog – beispielsweise auf dem Bordnetz-Kongress in Landshut.

Um heute bereits eingesetzte Simulationsverfahren auf Komponenten- und Systemebene zu einem digitalen Zwilling des kompletten Bordnetzes weiterzuentwickeln, sind einige Herausforderungen zu meistern. Die erste und wichtigste besteht darin, die tatsächlich auftretenden Lasten wie Schwingungen, Ströme und Temperaturen zu erfassen, ohne überall im Bordnetz zusätzliche Sensoren zu verbauen. Die Erfassung der Messgrößen ist nur dann sinnvoll, wenn die gewonnenen Daten über entsprechende Schnittstellen weiterverarbeitet werden können, also ausreichend Konnektivität gegeben ist. Zudem ist die Unschärfe, die jedes Modell gegenüber der physischen Realität hat, zu minimieren, was erheblichen Arbeitsaufwand bedeutet. Nicht zuletzt sind Fragen der Datensicherheit und des Datenschutzes zu berücksichtigen.


Auf dem Weg zum Digital Twin

Den Weg zum digitalen Zwilling des Bordnetzes bestreitet LEONI in drei grundlegenden Schritten. Zunächst gilt es, die Komplexität des digitalen Zwillings zu kategorisieren und damit dessen Systemgrenze zu definieren. Anschließend sind Relevanz und Konsequenz auftretender Abweichungen vom Sollzustand festzulegen. Und schließlich muss entschieden werden, wie der digitale Zwilling konkret modelliert wird.

Heutige Fahrzeug-Bordnetze sind extrem komplex, sie bestehen aus mehreren Tausend Komponenten. Zudem haben die an das Bordnetz angeschlossenen elektrischen und elektronischen Komponenten wie Aktuatoren, Steuergeräte und Sensoren erheblichen Einfluss auf das Systemverhalten. Bei LEONI kategorisieren wir daher alle Modellierungsansätze in vier Systemstufen. Stufe 1 ist die Komponenten-Ebene, für die heute bereits sehr präzise Modelle vorliegen. Stufe 2, die Subsystem-Ebene, besteht aus einem topologisch begrenzten Teilabschnitt des Leitungssatzes einschließlich der bordnetzspezifischen Komponenten. Solche Simulationsmodelle sind bei LEONI bereits heute teilweise im Einsatz, etwa in der Auslegung von Hochvolt-Kabelsätzen für Elektrofahrzeuge. Die Netzwerkebene, Stufe 3 also, umfasst das gesamte elektrische Netzwerk, das für den Transport von Energie und Informationen zwischen den angeschlossenen Komponenten und Steuergeräten verantwortlich ist. Als Systempartner arbeitet LEONI derzeit am Aufbau eines Gesamtmodells für die Netzwerkebene. Die Verantwortung für die vierte Stufe, die wir als Gesamtfahrzeug-System-Ebene bezeichnen und die alle an das Bordnetz angeschlossenen Energie- und Informationssysteme von der Batterie bis zum Steuergerät umfasst, liegt hingegen auch künftig beim Automobilhersteller.


Simulationstechniken wie Design of Experiments unterstützen bei der Optimierung des Bordnetzdesigns in der Vorentwicklungsphase

 

Simulation der optimalen Kabelverlegung anhand diverser Parametereinflüsse

Noch vor dem Aufbau eines digitalen Zwillings ist die Frage zu klären, was mit der Überwachung im Betrieb erreicht werden soll – nur das erlaubt einen zielgerichteten Aufbau des Modells und damit verbundene Entscheidungen über die benötigte Hardware. An erster Stelle stehen dabei in künftigen teil-, hoch- oder vollautomatisierten Fahrzeugen Informationen, die auf sicherheitsrelevante Abweichungen vom Sollzustand hindeuten. Sie stehen bei allen Konzepten zur präventiven Wartung im Vordergrund. Darüber hinaus sind die im Betrieb auftretenden Daten eventuell aber auch für Entwicklung, Produktion und sogar den Vertrieb sinnvoll zu nutzen. Und schließlich können Informationen nicht nur über die Funktionalität des Bordnetzes, sondern auch über dessen aktuellen Zustand von Interesse sein.

Sind diese Fragen geklärt, stehen Entscheidungen an: Welche technischen Parameter sind relevant, um die gewünschten Informationen zu gewinnen? Und welche Sensoren werden für die Gewinnung genutzt? Unsere Hypothese in dieser Hinsicht ist, dass der digitale Zwilling auf der Überwachung eines Parameters oder einer Kombination von mehreren technischen Parametern basiert. Die Sensorausstattung muss dieser Hypothese folgen, also zum Beispiel thermische und elektrische Parameter einzeln oder eine Kombination aus beidem erfassen.

In einigen Jahren wird es zur Selbstverständlichkeit gehören, dass Autos sich selbst rechtzeitig in die Werkstatt ordern. „Liegenbleiber“ werden trotz komplexerer Technik noch seltener auftreten. Ich freue mich darüber, daran mit meiner Arbeit mitwirken zu dürfen.

 

AUTOR

Aravind R. Chakravarthi

Teamleader Simulation, LEONI Bordnetz-Systeme GmbH

Haben Sie Fragen?

Wir helfen Ihnen gerne weiter und freuen uns auf Ihre Anfrage

Telefon +49 9321 304-0
E-mail blog@leoni.com

Teilen
Feedback
Sprachen
Kontakt